Geschichte in Kurzfassung


Erinnerungen an kleine und große Ereignisse, Personen und Persönlichkeiten in kurzen Zusammenfassungen.

Hans-Georg Stümke

*16. September 1941, Historiker

Der Historiker und Lehrer Stümke engagierte sich u. a. bei den Grünen und seit Ende der 1980er Jahre beim LSVD. 1981 veröffentlicht er gemeinsam mit Rudi Finkler „Rosa Winkel, Rosa Listen“, eine der ersten umfassenden Dokumentationen des nationalsozialistischen Terrors gegen Homosexuelle. 1989 erscheint mit „Homosexuelle in Deutschland“ die erste allgemeine Geschichte der Homosexualität in Deutschland, 1998 „Älter werden wir umsonst“.


Unter dem Pseudonym Elvira Klöppelschuh veröffentlichte er außerdem den Roman „Elvira auf Gran Canaria“ (1994). Ein Rezensent schrieb: „Elvira ist eine von uns, ich schwör‘s. ... einfach köstlich sind die Schilderungen des schwulen Strandlebens. Wie auf dem Präsentierteller liegen da die Homoletten dicht gedrängt im Sand, kreischen bei jeder anrollenden Welle und lästern über die Heten, die vor allem bei Flut fast auf Tuchfühlung an den Homos vorbeiziehen (müssen).“


Hans-Georg Stümke starb am 29. September 2002.

>>> Marcus Velke

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Paul Fleming

*5. Oktober 1609, Arzt und Schriftsteller

Paul Fleming gilt als einer der bedeutendsten Lyriker des Barocks, der u. a. die Schrecken des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) in zahlreichen lateinischen Oden (entstanden zwischen 1631 und 1633) beschrieb. Während seines Medizinstudiums in Leipzig (1628-1633) verliebte sich Fleming unsterblich in seinen Kommilitonen Georg Gloger, mit dem er eine enge und zumindest homoerotisch gefärbte Bindung einging. Literarischen Ausdruck fand diese Bindung in zahlreichen Liebesgedichten, die Gloger und Fleming füreinander verfassten. 1631 verstarb der geliebte Gloger (in Flemings Gedichten als Dafnis verehrt) an Fieber. Fleming war allerdings auch dem weiblichen Geschlecht zugetan; 1639 verlobte sich der Dichter mit der Tochter eines Hamburger Kaufmanns. Zur Hochzeit kam es durch den plötzlichen Tod Flemings am

2. April 1640 nicht mehr.

>>> Marcus Velke

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Friedrich II. von Preußen

* 24. Januar 1712

Friedrich II., auch der Alte Fritz genannt, wurde am 24. Januar 1712 in Berlin geboren. Er starb am 17. August 1786 in Potsdam, war ab 1740 König in und ab 1772 König von Preußen sowie Kurfürst von Brandenburg. Er überfiel im Frieden die habsburgische Provinz Schlesien und beteiligte sich mit Habsburg und Russland an der Aufteilung Polens. Diese aggressive Politik gegen die Nachbarn machte Preußen neben Habsburg/Österreich zur zweiten Großmacht im Heiligen Römischen Reich und damit zu einer der fünf europäischen Großmächte. Ihm selbst brachte sie den Beinamen "der Große" ein. 


Friedrich war eine widersprüchliche Persönlichkeit: erfolgreicher Kriegsherr und absoluter Herrscher, aber auch – was auf Königsthronen durchaus selten war – Aufklärer, Intellektueller, Modernisierer, Schriftsteller, Musiker und vermutlich homosexuell. An seinen dreihundertsten Geburtstag erinnern zahlreiche Publikationen und Ausstellungen. Arte und das Erste Deutsche Fernsehen brachten im Januar einen Spielfilm mit Anna und Katharina Thalbach als jungem und altem Fritz und stellten auch die Frage nach Friedrichs sexueller Orientierung. 


Im Homo-Kanon wird Friedrich seit langem als Beispiel für einen großen Mann geführt, der auch homosexuell war. Seine eigenen Schriften und zeitgenössische Quellen lassen erkennen, dass er homoerotische Neigungen hatte. Offen als schwuler Mann leben konnte im 18. Jahrhundert auch ein König nicht. Vermutlich begnügte er sich mit intensiven Freundschaften und homosozialen Kontakten zu seinen Freunden und Dienern. Auf das sexuelle Ausleben seiner Neigungen hat er wahrscheinlich verzichtet – verzichten müssen.


Es gibt in Friedrichs Biografie sogar einen Bezug zur schwulen Geschichte Kölns: die Barberina, in den 50er und 60er Jahren beliebte Nachtbar (Hohe Pforte 2a/Ecke Mühlenbach gelegen) nicht nur für schwule Gäste, zeitweise mit Trude Herr als Bardame, war nach der Tänzerin Barberina benannt, für die Friedrich geschwärmt haben soll, angeblich, weil sie so muskulöse Beine hatte.

>>> Herbert Potthoff

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Karol Szymanowski

† 29. März 1937, polnischer Komponist und Schriftsteller

Im klassischen Opernrepertoire finden sich nur ganz wenige Beispiele für das Aufgreifen homosexueller Themen. Wohl das wichtigste ist die Oper 'Król Roger' (König Roger) des polnischen Komponisten Karol Szymanowski. Hierzulande ist Szymanowski höchstens den Enthusiasten klassischer Musik bekannt, in Polen gilt er als einer der wichtigsten Musiker des Landes. Seit 2007 gibt es eine 2-Złoty-Münze mit seinem Porträt.


Karol Maciej Szymanowski wurde am 6. Oktober 1882 in Tymoszówka (heute Ukraine)  geboren. Er studierte in Warschau Musik, erste Werke kamen Anfang des letzten Jahrhunderts zur Aufführung. Ausgedehnte Reisen führten ihn nach Italien und Nordafrika, damals oft das Ziel europäischer Intellektueller (man denke an Baron von Gloeden oder André Gide) auf der Suche nach der Erfüllung erotischer Sehnsüchte. Gegen Ende des ersten Weltkriegs beschäftigte sich Szymanowski fast zwei Jahre lang ausschließlich mit Literatur. Er schrieb einen homoerotisch gefärbten Roman, 'Ephebos', dessen Text weitgehend verloren ist, und schenkte seinem jungen Freund Boris Kochno (später einer der Mitarbeiter und Liebhaber des Tänzers Sergei Diaghilev) eine russische Übersetzung dieses Buches. 


1919 ließ sich Szymanowski wieder in Warschau nieder. Mittlerweile wurden seine Werke in ganz Europa und auch in den USA gespielt. Im Jahr 1926 fand die Uraufführung von 'Król Roger' in Warschau statt. Ein geheimnisvoller Hirte predigt den Glauben an Freiheit, Schönheit und Liebe und bringt damit die starren Normen am Hof des mittelalterlichen Normannenkönigs Roger zum Einsturz. Rogers Frau Roxane erliegt den Heilsversprechen des Hirten, der kein anderer als der Gott Dionysos ist. Auch der König fühlt sich stark zu dem Hirten hingezogen, widersteht jedoch dessen sexueller Anziehung und entscheidet sich stattdessen für die sittlich reine Welt des Sonnengottes Apoll.


Ein Jahr später wurde Szymanowski Direktor der Musikakademie Warschau. Er bemühte sich um eine Reform der musikalischen Ausbildung und geriet dabei in Konflikt mit konservativen Dozenten, die schließlich unter Berufung auf seine Homosexualität Szymanowskis Rücktritt erreichten. Er erkrankte an Tuberkulose, mehrere Kuraufenthalte im Süden bewirkten nur vorübergehend Linderung. Er starb am 29. März 1937 in einem Sanatorium in Lausanne am Genfer See.

>>> Herbert Potthoff

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Alfred Grünewald

† 9. September 1942, Wiener Architekt und Lyriker

Von Beruf her Architekt, der Berufung nach Lyriker, daneben leidenschaftlicher Verehrer der männlichen Jugend – dieses Dreieck charakterisiert das Leben des Wieners Alfred Grünewald. Sein Schicksal aber bestimmte sich durch seine jüdische Abstammung, und so fand er 1942 in Auschwitz den Tod.


Der Werdegang des Alfred Grünewald, jüngstes Kind einer ungarischen Kaufmannsfamilie, war recht konventionell. Am 17. März 1884 in der Wiener Leopoldstadt geboren, dem traditionellen Viertel ostjüdischer Einwanderer, wuchs er in gesicherten Verhältnissen auf. Nach Realschule und Technischer Hochschule arbeitete er bei dem bekannten Architekten Adolf Loos, gleichzeitig veröffentlichte er Gedichte. Sein Balladenband Mummenschanz des Todes brachte ihm einiges Lob ein: Nicht nur der Publizist und gefürchtete Kritiker Karl Kraus, auch Literaturzeitschriften wie Der Brenner oder der Inselverlag interessierten sich für ihn. Grünewald wurde Mitglied der sogenannten zweiten Generation des „Jungen Wien“, die durch Schriftsteller wie Franz Th. Csokor, Felix Braun und Stefan Zweig geprägt wurde. Dennoch blieb er ein Außenseiter, ein Meister der Form und des skurrilen Humors, der jedoch kein breites Publikum erreichte. Denn sein lyrisches Werk – anders als die Balladen – pries vor allem die Schönheit von Jünglingen, oft nur zart angedeutet, immer in einer traumartigen Atmosphäre. Wichtigste Beispiele dieser Poesie sind die Sonette an einen Knaben:


Der Abend kam und hüllte uns in Hauch. 

Des Parkes Raunen hatte neue Töne.

Wir lauschten lange, und du bebtest auch,

Entzückter du, in Scham vor deiner Schöne.


Diese Dichtung war dem Eigenen, der weltweit ersten Homosexuellenzeitschrift, zu brav, der bürgerlichen Presse dagegen zu „persönlich“. Immerhin machte sie Kurt Hiller, Schriftsteller und Mitstreiter Magnus Hirschfelds, auf Grünewald aufmerksam – der Beginn einer lebenslangen Freundschaft.


Obwohl sich kein literarischer Erfolg einstellte, gab Grünewald Mitte der zwanziger Jahre den Architektenberuf auf und widmete sich ganz der Schriftstellerei. Die Aphorismensammlung Ergebnisse konnte so entstehen, und 1935 gelang ihm mit der Tragödie Walpurga und Agathe eine Aufführung am Burgtheater.


Privat lebte der Dichter sehr zurückgezogen in der Wiener Josefstadt, seine wichtigste Bezugsperson war der um 26 Jahre jüngere Franz Golffing, ein literaturbegeisterter Jüngling, mit dem er 1931 eine Auswahl seiner Gedichte herausgab. 1938, am Vorabend des „Anschlusses“ Österreichs an Nazi-Deutschland, versuchte sich Grünewald mit einer Überdosis Veronal das Leben zu nehmen. Der Versuch misslang. Im Zuge der Novemberpogrome wurde er ins KZ Dachau transportiert, von wo er im Januar 1939 mit der Option entlassen wurde, das Deutsche Reich sofort zu verlassen. Da ihn kein Staat aufnehmen wollte, entschloss er sich zur Flucht über die Schweiz nach Südfrankreich, wo er in Nizza bis zum Herbst 1942 in ärmlichsten Verhältnissen lebte. Dennoch schrieb er ununterbrochen, etwa eine Sammlung sehr inniger Gedichte, die von einer leidenschaftlichen Liebe zu einem jungen Mann inspiriert wurden.


Im Sommer 1942 begannen die Deportationen der Juden in Frankreich. Grünewald wurde zunächst in das Lager Les Milles bei Aix-en-Provence verschleppt, kam dann über das KZ Drancy am 7. September nach Auschwitz, wo er zwei Tage später ermordet wurde.

>>> Volker Bühn

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Johann Joachim Winckelmann

* 9. Dezember 1717, deutscher Archäologe und Kunstgelehrter

Johann Joachim Winckelmann wurde am 9. Dezember 1717 in Stendal bei Magdeburg als einziger Sohn des Schuhmachermeisters Martin Winckelmann geboren. Wohlhabende Gönner ermöglichten ihm Schul- und Universitätsbesuch. Unzufrieden mit den Verhältnissen in Deutschland – das bezog sich sowohl auf seine Berufsaussichten als auch auf die Möglichkeit, sein Interesse an jungen Männern auszuleben – trat er zum katholischen Glauben über, Voraussetzung für ein Stipendium für eine Reise nach Rom. Dort fand er rasch Anschluss an die Welt der Gelehrten, Künstler und Kirchenfürsten. In Rom und Neapel, unter anderem in den damals gerade entdeckten Ruinen von Pompeji und Herculaneum, fand er das Material für seine wissenschaftlichen Schriften. Mit seiner Geschichte der Kunst des Alterthums und anderen Werken schuf er die Grundlage für die moderne archäologische Wissenschaft und die vergleichende Kunstgeschichte. Für seine herausragenden wissenschaftlichen Leistungen wurde von der europäischen Gelehrtenwelt hoch geachtet.


In Bezug auf seine Interesse an jungen Männern war er weniger erfolgreich. Seine Beschreibungen antiker Jünglingsstatuen gehören zu den eindrucksvollsten Abschnitten in seinen Schriften. Er suchte Kontakte zu schönen jungen Italienern  und entflammte für Besucher, die er als Oberaufseher der römischen Altertümer durch die ewige Stadt führte. Es bestehen keine Zweifel, dass er homosexuell empfand, und nur wenige Zweifel, dass er sich in seiner römischen Zeit auch homosexuell betätigte. Eine dauerhafte Beziehung ergab sich nicht, wäre auch kaum zu realisieren gewesen, selbst wenn man bedenkt, dass die italienischen Gesetze und die italienische Gesellschaft die mannmännliche Liebe nicht so rigoros ablehnten wie es im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation der Fall war. 


Winckelmann wurde 1768 auf der Rückreise von Deutschland und Österreich zurück nach Rom in Triest ermordet. Sein Mörder, Francesco Arcangeli, war ein vorbestrafter Koch, der ihn mit sieben Messerstichen umbrachte. Die Hintergründe dieser Tat (Habgier, Abwehr einer sexuellen Annäherung?) sind bis heute umstritten. Arcangeli wurde zum Tode verurteilt und gerädert. Winckelmanns Grab geriet zunächst in Vergessenheit; das heutige Grabmonument  wurde erst 60 Jahre nach seinem Tod errichtet.

>>> Herbert Potthoff

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Herschel Grynszpan

* 28. März 1921, Schneidergehilfe und Attentäter

Herschel Grynszpan wurde in Hannover als Sohn eines polnisch-jüdischen Ehepaares geboren, das 1911 aus dem zum russischen Zarenreich gehörenden Teil Polens eingewandert war. Er besaß die polnische Staatsbürgerschaft. Der Vater war Schneider und wurde im „Dritten Reich“ zur Aufgabe seines Geschäftes gezwungen, während Herschel 1935 als Jude ein Jahr vor seinem Abschluss die Volksschule verlassen musste. Vorübergehend fand Herschel Aufnahme an der Rabbinischen Lehranstalt in Frankfurt am Main. 1936 wanderte er dann jedoch, weil er in Nazi-Deutschland keinerlei Perspektiven hatte, auf illegalen Wegen über Brüssel nach Paris aus. Hier lebte ein Onkel, der Herschel in seiner Schneiderei als Gehilfen beschäftigte. Die nächsten zwei Jahre verbrachte er vergeblich damit, sich um eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung in Frankreich zu bemühen. Eine Rückkehr nach Hannover war ebenfalls unmöglich geworden, da die Behörden dort ihm wegen angeblicher Probleme mit seinen Dokumenten die Heimfahrt ins Deutsche Reich verweigerten. Seine Lage wurde vollends ausweglos, als 1938 sein polnischer Pass ablief und ihm die französischen Behörden einen Ausreisebefehl zustellten. Bis zum 15. August 1938 hätte er Frankreich verlassen müssen; sein Onkel versteckte ihn jedoch im Dachgeschoss seines Hauses.


Grynszpan war offenbar schwul und verkehrte während seiner Pariser Zeit in der Subkultur der Seine-Metropole. Hier soll er im Sommer 1938 auch den deutschen Diplomaten und Botschaftsangehörigen Legationssekretär Ernst vom Rath kennengelernt haben, mit dem Grynszpan eine sexuelle Beziehung gehabt haben will – ob dem so war oder nicht, lässt sich heute nicht mehr zweifelsfrei feststellen.


1938 beschloss die Regierung Polens, Juden polnischer Nationalität, die schon seit mehr als fünf Jahren im Ausland lebten, zum 30. Oktober 1938 die Staatsbürgerschaft zu entziehen. Diese Entscheidung fiel vor dem Hintergrund des „Anschlusses“ Österreichs an das nunmehr „Großdeutsche Reich“; in Warschau befürchtete man, dass die etwa 20.000 dort lebenden polnischen Juden nach Polen fliehen könnten. Ebenfalls wurde befürchtet, dass das Deutsche Reich die etwa 70.000 in Deutschland lebenden polnischen Juden nach Polen ausweisen könnte.


In der sogenannten „Polenaktion“ versuchte das NS-Regime nun, der polnischen Juden im Reich habhaft zu werden und diese abzuschieben. Am 27. und 28. Oktober 1938 wurden 12.000 bis 17.000 Juden verhaftet und ins Niemandsland zwischen der deutschen und der polnischen Grenze verbracht, darunter auch die Familie Grynszpan. Von Paris aus mit illegalem Aufenthaltsstatus konnte Grynszpan nichts für seine Familie unternehmen – aus Verzweiflung beschloss er, einen Mitarbeiter der deutschen Botschaft in Paris zu töten und so für das Schicksal seiner Familie Rache zu nehmen, zumindest gab er diese Motivation bei späteren Vernehmungen an.


Am Morgen des 7. November 1938 betrat Grynszpan bewaffnet die deutsche Botschaft unter dem Vorwand ein wichtiges Dokument abgeben zu wollen. Ernst vom Rath hatte an diesem Morgen Dienst und ließ Grynszpan ohne weitere Anmeldeformalitäten in sein Büro führen – ein Indiz, dass sich die beiden gekannt haben müssen. Grynszpan schoss vom Rath nieder und ließ sich nach seiner Tat widerstandslos festnehmen. Am 9. November 1938 verstarb vom Rath an den Folgen des Attentats; als Reaktion initiierte das NS-Regime dann in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 jenen Pogrom, der als „Reichskristallnacht“ traurige Berühmtheit erlangt hat. Mit einem Staatsbegräbnis in Gegenwart Hitlers wurde vom Rath in Düsseldorf beigesetzt und von der NS-Propaganda als erstes Blutopfer eines Kampfes des „Weltjudentums“ gegen das „Dritte Reich“ stilisiert.


In der Forschung kursieren Vermutungen, Grynszpan habe versucht, bei vom Rath gültige Dokumente für seine Wiedereinreise nach Deutschland zu bekommen. Dieser habe ihm seine Unterstützung gegen sexuelle Dienstleistungen zugesichert, seinen Teil der Abmachung aber nicht gehalten. Bis zum deutschen Sieg über Frankreich blieb Grynszpan in französischer Haft. Nach einem erfolglosen Fluchtversuch landete er dann im Januar 1941 im KZ Sachsenhausen, später im Zuchthaus Magdeburg. 1942 oder 1943 dürfte Grynszpan dort ermordet worden sein. Zu einem geplanten Schauprozess gegen ihn kam es nie: Angeblich auf Befehl Hitlers wurde der Prozess wieder abgeblasen, da Grynszpan damit gedroht hatte, die homosexuellen Neigungen vom Raths und anderer NS-Größen in Paris vor Gericht zu offenbaren.

>>> Marcus Velke

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Karl Maria Kertbeny

* 28.2.1824, Schriftsteller, Übersetzer und Wortschöpfer

Geboren wurde Kertbeny in Wien, der Hauptstadt des „Kaisertums Österreich“ unter dem Namen Karl Maria Benkert. Da er sich als National-Ungar fühlte, publizierte er ab 1847 nur noch unter seinem magyarisierten Namen und Anagramm Kertbeny.


Er führte ein unstetes Wanderleben und machte unter anderem Station in Paris, London, der Schweiz und in Berlin. Dabei lernte er etliche Geistesgrößen und Literaten seiner Zeit kennen, so beispielsweise Bettina von Arnim, George Sand, Rahel Varnhagen, Heinrich Heine oder Jacob Grimm. Einen Namen machte er sich als Übersetzter ungarischer Literatur ins Deutsche, daneben verfasste er aber auch zahlreiche eigene Romane, Erzählungen und autobiographische Werke.


1864 las Kertbeny Das Räthsel der mann-männlichen Liebe von Karl Heinrich Ulrichs und wurde durch diese Lektüre so aufgewühlt, dass er mit dem Verfasser in Kontakt trat und selbst begann, eine ungedruckt gebliebene Seelenlehre des Geschlechtslebens zu entwerfen.


Mit Ulrichs ging Kertbeny eine „Kampfgenossenschaft“ ein, um die Sache der Emanzipation der Urninge (wie Ulrichs männerliebende Männer bezeichnet hatte) voranzubringen. Doch schon 1868 beendete Kertbeny den gemeinsamen Kampf, wohl weil Ulrichs sich geweigert hatte, die Begrifflichkeiten Kertbenys für das gleichgeschlechtliche Begehren der Männer zu übernehmen.


1868-1874 lebte Kertbeny in Berlin und ließ dem preußischen Justizministerium anonym als „Normalsexualer“ zwei Denkschriften zukommen – dies als letzten Endes erfolglosen Protest gegen das Ansinnen Preußens, seinen antischwulen § 143 als § 152 in das Strafrecht des Norddeutschen Bundes zu überführen. Diese Denkschriften sind das Hauptverdienst Kertbenys, weswegen er zumindest in schwulen Kreisen auch heute noch ein Begriff ist: In seinen Texten brachte er zum ersten Mal die Ausdrücke „Homosexualität“ und „homosexual“ in den öffentlichen Diskurs ein und wurde damit zum Vater der auch heute noch weltweit gültigen Begrifflichkeiten der Homosexualität.


Zeit seines Lebens blieb Kertbeny ledig und frauenlos und versicherte beständig, dass er nicht „homosexual“ sei. Seine ausgiebige Beschäftigung mit der Theorie der Homosexualität und seine diesbezüglichen Schriften ließen jedoch schon die Zeitgenossen das Gegenteil vermuten. 1882 ist Kertbeny in Budapest gestorben, sein Grab ist seit 2002 Ziel regelmäßiger Kranzniederlegungen durch die ungarische LGBT-Bewegung.

>>> Marcus Velke

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Rudolf Chametowitsch Nurejew

* 17.3.1938, Tanz- und Sexgott

Als Kind tatarischer Eltern wurde Nurejew 1938 in einem Zug der Transsibirischen Eisenbahn in der Nähe des südsibirischen Irkutsk geboren. Aufgewachsen ist er in Ufa, 100 km westlich des Uralgebirges. Hier fiel sein Tanztalent zwei ehemaligen Ballerinen auf, die ihn förderten und ermutigten, sich trotz der heftigen Widerstände seines Vaters – dieser hat wohl auch durch regelmäßige Schläge versucht, seinen Sohn vom Tanzen abzubringen – am Choreographischen Institut in Leningrad zu bewerben. Später berichtete Nurejew, er habe während dieser Zeit des Elends in Ufa immer von einem Prinzen geträumt, der kommen würde, um ihn zu erlösen. Es war jedoch sein Talent, das ihn rettete und ihm nach einer schwierigen Ausbildungszeit (Nurejew war mit 17 Jahren zum Zeitpunkt seiner Bewerbung in Leningrad eigentlich schon zu alt für den Beginn einer Tänzer-Karriere) zur Stellung eines Solisten im weltberühmten Kirow-Ensemble verhalf. Stets hatte Nurejew Schwierigkeiten damit, sich der Ballettleitung unterzuordnen. Die Mitgliedschaft in der Jugendorganisation der KPdSU, dem Komsomol, verweigerte er. Trotzdem durfte Nurejew auch im Ausland auftreten, wurde aber immer wieder mit Disziplinarmaßnahmen überzogen. Im Juni 1961 nutzte er einen Aufenthalt mit dem Kirow-Ensemble in Paris, um sich abzusetzen und in Frankreich politisches Asyl zu beantragen. In Abwesenheit wurde Nurejew in der UdSSR wegen Hochverrats verurteilt; in der Zeit seines Exils lebte er bis zum Ende des Kalten Krieges in der beständigen (eingebildeten?) Angst, vom sowjetischen Geheimdienst entführt oder ermordet zu werden.


Nurejew sorgte mit Neueinstudierungen und Neuinterpre-tationen für eine Wiederbelebung des klassischen Ballettrepertoires im „Westen“. Er wurde zum größten und bedeutendsten Tänzer seiner Zeit und revolutionierte die Rolle des männlichen Tänzers: Der Solist wurde mit ihm zum gleichberechtigten Partner der Ballerinen. Genauso intensiv, erfolgreich und legendär wie sein Tanz entwickelte sich – zumindest wird das bis heute so kolportiert – das ausschweifende Sexualleben Nurejews, wobei immer wieder die Rede ist von den angeblich ungeheuren Proportionen seines Geschlechtsteils. In den frühen 1980er Jahren infizierte sich Nurejew mit dem HI-Virus. Vor der Öffentlichkeit hielt er dies lange geheim und starb am 6.1.1993 hochgeehrt in Frankreich an den Folgen von AIDS.

>>> Marcus Velke

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Wilhelm von Gloeden

* 18.9.1856, Fotograf

Vor 157 Jahren wurde Wilhelm von Gloeden in Völkshagen, Mecklenburg, geboren, mit vollem Namen Wilhelm Iwan Friederich August von Gloeden. Er war ein deutscher Fotograf, der hauptsächlich in Sizilien arbeitete. Er gilt als einer der Pioniere künstlerischer Aktfotografie. Berühmt wurde er durch seine Akte sizilianischer Knaben mit antikisierenden Requisiten und Kostümen, die eine arkadische Idylle suggerieren sollten.


Von Gloeden studierte Kunstgeschichte und Malerei in Rostock und Weimar und pflegte eine leidenschaftliche Liebe zum Theater. Ein schweres Lungenleiden führte dazu, dass er 1877 nach Taormina in Sizilien übersiedelte. Hier schloss er Freundschaft mit dem Bürgermeister von Taormina, dem deutschen Maler Otto Geleng. Dies und sein im Vergleich zur äußerst armen Bevölkerung Süditaliens beträchtlicher Reichtum mögen erklären, warum seine Homosexualität und deren offensichtliche Ausprägung in seiner Arbeit von den Einheimischen toleriert wurde.


Gloeden seinerseits fand sich in einem Italien, das in seinen Augen ein Ideal der Antike wieder aufleben ließ: „Die Lektüre von Homer, von Theokrits Gedichten in Sizilien regten meine Phantasie an. Felsen und Meer, Berge und Täler erzählten mir von arkadischen Hirten und vom Polyphem“. Auch das unverkrampfte Verhältnis der Bevölkerung zur Nacktheit (damals waren Kinder oft nackt in der Öffentlichkeit zu sehen) mag für ihn eine Erlösung von der deutschen Körperfeindlichkeit und Prüderie gewesen sein.


Neben den Knabenakten, mit denen 

Gloeden 1880 begann, fertigte er auch Porträtstudien der örtlichen Landarbeiter und fotografierte Landschaften. Seine Arbeit wurde durch Ausstellungen u.a. in London und Berlin schnell in ganz Europa populär. Taormina entwickelte sich indessen zu einem Treffpunkt des europäischen Hochadels, von Industriellen und Künstlern, insbesondere von Homosexuellen, die hier ihre sexuelle Leidenschaft eher ausleben konnten als zu Hause.


Etwa um die Jahrhundertwende begann das Geschäft mit Postkarten, das weiter zur Berühmtheit Gloedens beitrug. Der Großteil seines Werk stammt aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Während des Krieges musste er das Land verlassen, nach seiner Rückkehr 1918 fotografierte er nur noch wenig. Bei seinem Tod hinterließ Gloeden sein Werk seinem Assistenten Pancrazio Bucini.


Aus moderner Sicht sind Gloedens Fotografien durch die kontrollierte Nutzung des Lichts sowie die häufig eleganten Posen seiner Modelle interessant. Er war zudem der erste Fotograf, der mit Körperschminke (einer Mischung aus Milch, Olivenöl und Glyzerin) arbeitete, um die oft unreine Haut seiner Modelle zu kaschieren. Gloeden arbeitete ausschließlich mit Plattenkameras, die eine lange Belichtungszeit erforderten. Das bedeutet, dass seine Fotografien sorgfältig inszeniert werden mussten. Dies mag zu der großen, fast archaischen Ruhe beigetragen haben, die seine Fotografien oft ausstrahlen. Er war einer der ersten Fotografen, die Aktaufnahmen im Freien machten, was erst um die Jahrhundertwende populär wurde.


Gloeden hinterließ etwa 3.000 Fotografien, von denen der größte Teil von der italienischen Polizei unter Mussolini als pornografisch vernichtet wurde. Heute findet sich ein Teil seiner Arbeiten in süditalienischen Museen, der Großteil jedoch dürfte bei privaten Sammlern untergekommen sein.


In den 1960er Jahren wurde Gloeden im Zuge der sexuellen Revolution wiederentdeckt. Seine Fotografien wurden unter anderem 1977 auf der documenta 6 

in Kassel ausgestellt. Künstler wie Robert Mapplethorpe, Cecil Beaton, Andy Warhol und Bruce Weber schätzten und sammelten seine Fotografien. Ein Gutteil der schwulen Nachkriegsfotografie zeigt den Einfluss Gloedens. Bis heute führen Ausstellungen seiner Werke allerdings auch zu Irritationen und Auseinandersetzungen. So warf beispielsweise 2008 das Jugendamt Memmingen zur Eröffnung der Gloeden-Schau in Memmingen dem Kulturamt einen zu leichtfertigen Umgang mit dem Thema „Knabenliebe“ vor und kritisierte einen zu sorglose Einstellung zu einem Künstler, der das gleiche tue, was „heutzutage Pädophile und Päderasten in Thailand und Kambodscha tun“. Kunsthallen-Chef Joseph Kiermeier-Debre nannte diese Anschuldigungen ungerechtfertigt und teilweise „infam“. Bundesweit stieß die Schau auf großes Interesse.

>>> Willi Kutsch

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